Dshamilja Gesucht: Das Bild einer großen Liebe Von Theodor Herzen Student war ich noch und übte meine ersten Schritte als Illustrator, als ich Tschingis Aitmatows „Dshamilja“ gelesen habe. Er war jung und unbekannt wie ich. Die kleine Liebesgeschichte war so wunderschön und ich spürte das Besondere, das einen Illustrator reizt, die Worte in Bilder umzusetzen. Ich konnte damals von einem Auftrag nur träumen. Aitmatow wurde mit dem Buch weltberühmt. Fast 30 Jahre musste ich warten, habe fleißig gearbeitet und viele Bücher illustriert, dann kam das große Geschenk: Bilder zu finden für Dshamilja. Es war ein glücklicher Tag in meinem Leben, ein weiterer blauer Traum wurde wahr. Bis dahin hatte ich große und wichtige Werke in Bilder umgesetzt. Darunter das „Manas“-Epos eine Art kirgisisches Nibelungen-Lied, viele Volksmärchen, aber auch Tolstoi. Ich habe immer in Linolschnitt gearbeitet, aber bei Dshamilja hatte ich das Gefühl, es müsse ein anderes Material sein, Pastellfarben vielleicht, Dshamilja weckt in mir Erinnerungen an die Kinder- und Jugendjahre, an das Talastal, in dem auch Aitmatow aufgewachsen ist. Es waren schwere Jahre der Kriegszeit, die Männer waren fort, und auch wir Kinder mussten von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang hart arbeiten. Todmüde, aber glücklich bin ich unter die Decke geschlüpft. In den kühlen Sommernächten habe ich gerne auf dem flachen Scheunendach geschlafen. Bis heute kann ich diese zauberhaften Talas-Nächte nicht vergessen, der Mond und die Sterne am Himmel, und der Urmaral-Fluß sang dazu seine beruhigende Melodie. Diese Nächte leben bis heute in meiner Seele, und ich kann das Tal nicht trennen von Dshamilja. Aitmatow hat mich gelehrt, wie ein Künstler alles erspüren muss, wie ihm Kleinigkeiten wichtig sein müssen. Wie sich alles verändert, die Wolken am Himmel, die Blumen auf dem Feld. Und dann diese junge, aber starke Frau. Sie stand vor meinen Augen, schön und wild. Eine Frau, wie es sie nur auf einem Dorf in den weiten kirgisischen Tälern geben kann. Aber ich war enttäuscht von den ersten Zeichnungen. Wo mir sonst Figuren und Konturen leicht von der Hand gingen, das Bild fand ich nicht den Zauber von Dshamilja. Doch eines Abends, als ich vom Atelier mit dem Bus nach Hause fuhr, sah ich ein junges Pärchen. Ich schaute auf das Mädchen und spürte sofort: Das ist sie. Meine Augen wanderten über ihr Gesicht, bis jede Einzelheit im Gedächtnis war. Daheim warf ich den Mantel weg, zeichnete das Porträt und war zufrieden. Einige Tage später kam ein Mann zu mir ins Atelier, sah den Entwurf und sagte: „Oh, das ist ja Dshamilja.“ Ich war glücklich. (Der Artikel erschien am Sa, 12, Dezember 1998, in: Die Welt.)
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